Die Umfragen hatten diesmal recht: Die FPÖ holte bei der Nationalratswahl am heutigen Sonntag laut Auszählung von 23.00 Uhr souverän der ersten Platz mit 28.8 Prozent der Stimmen, das ist ein Plus von 12,6 Prozent und damit das historisch beste Wahlergebnis seit 1945. Klar abgeschlagen die ÖVP mit 26,3 Prozent – mit dem historisch höchsten Verlust von 11,2 Prozent und dem bisher schlechtesten Wahlergebnis. Ebenso unbefriedigend das Ergebnis für die SPÖ, die mit 21,1 Prozent und einem Minus von 0,1 Prozent sogar noch das historisch schlechteste Ergebnis von 2019 unterbot.
Grüne rutschen hinter Neos, Bier und KPÖ schaffen es nicht
Auch die Grünen wurden massiv abgestraft , mit 8,3 Prozent der Stimmen und einem Minus von 5,6 Prozent lieferten sie sich während der Hochrechnungen zunächst ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Neos, die letztlich 1,1 Prozent zulegen konnten und damit die 9,2 Prozent-Marke und damit klar Platz vier erreichten. Die medial hochgejubelte Bierpartei schaffte den Sprung in den Nationalrat mit 2,0 Prozent (minus 2,1 Prozent) klar nicht, ebenso die Kommunisten, die zwar 1,6 Prozent zulegen konnten, aber dennoch nur 2,5 Prozent erreichten. Die Migrantenpartei Keine (Wandel) und die Liste Petrovic blieben mit jeweils 0,6 Prozent nur knapp über der Wahrnehmungsgrenze. Die Wahlbeteiligung lag bei 77,3 Prozent.
FPÖ bekommt 25 neue Abgeordete, ÖVP verliert 19
Im Nationalrat wird sich viel bewegen: Demnach verliert der ÖVP-Parlamentsklub gleich 20 Mandatare und rutscht auf nur noch 51 Sitze. Die SPÖ gewinnt aufgrund wahlarithmetischer Verschiebungen trotz Verlusten ein Mandat dazu und liegt bei 41 Sitzen. Die Freiheitlichen hingegen erreichen 57 Mandate und bekommen somit 26 neue Nationalratsabgeordnete. Die Grünen verlieren zehn Mandate und verfügen nur noch über 16 Sitze im Parlament, die Neos landen mit plus drei auf 18 Sitzen.
ÖVP verlor eine halbe Million Wähler, FPÖ gewann 600.000
Wie rigoros die Wählerbewegungen bzw. Abstrafungen waren, zeigen ein paar Zahlen der Wählerstromanalyse: So verlor die Kanzlerpartei ÖVP ganze 500.000 Wähler, während die FPÖ insgesamt 600.000 Wähler dazugewinnen konnte, 400.000 allein von der ÖVP. Die Grünen wiederum verloren ein Drittel ihrer Wähler, vorwiegend Richtung SPÖ, die aber wiederum ebensoviele Wähler zur FPÖ verlor.
Immer mehr Bundesländer werden blau
Auch in den Bundesländern passierten echte Dammbrüche: So kam die FPÖ etwa in der Steiermark, wo am 24. November ein neuer Landtag gewählt wird, auf mehr als 38 Prozent, während die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ deutlich verloren. Auch in Vorarlberg, wo schon am 13. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird, liegt die FPÖ mit rund 27 Prozent nur noch knapp hinter der ÖVP mit 29 Prozent. Selbst in Niederösterreich, dem klassischsten aller ÖVP-Länder, das auch schon von einer schwarz-blauen Koalition regiert wird, konnten die Blauen noch näher an die ÖVP aufrücken. Auch in Salzburg, wo ebenfalls Schwarz-Blau regiert, konnte die FPÖ um fast 14 Prozent auf fast 28 Prozent zulegen, während die Landeshauptmann-Partei ÖVP ÖVP fast 15 Prozent verlor und bei 31 Prozent hält. Umgedreht wurde das Ergebnis im Burgenland: Selbst das Land des - noch - absolut regierenden SPÖ-Quertreibers Hans Peter Doskozil ist jetzt blau - mit 28,8 Prozent überholte die FPÖ die Roten, die auf 27 Prozent fielen und selbst von der ÖVP mit 28,6 Prozent überholt wurden. Oberösterreich schaffte es ebenfalls, das vor fünf Jahren in Türkis eingetauchte Land wieder blau erstrahlen zu lassen. Mehr als 30 Prozent wählten am Sonntag die FPÖ, während die ÖVP nur noch 26 Prozent der Stimmen für sich vereinen konnte. Auch in Tirol wurde der gegenüber der FPÖ ausgrenzend regierende ÖVP-Landesfürst Anton Mattle für seine selbstherrliche Politik mit einem Verlust von fast 15 Prozent auf 31 Prozent abgestraft, während die FPÖ in etwa genausoviel dazugewann und nun bei 29 Prozent liegt. Lediglich in Wien verteidigte die SPÖ noch ihren Landeshauptmann bzw. Bürgermeister Michael Ludwig mit leichten Zugewinnen von 2,8 Prozent, rutsche allerdings auf unter 30 Prozent (29,98), während die FPÖ gleich 8,33 Prozent dazugewann und nun bei mehr als 21 Prozent liegt. In Wien verlor auch die ÖVP mehr als sieben Prozent und liegt nur noch bei weniger als 18 Prozent, die Grünen rutschten um fast neun Prozent (!) auf nur noch zwölf Prozent ab, die mitregierenden Neos legten mit 1,4 Prozent leicht zu und liegen nun bei elf Prozent. Und auch im rot-schwarz regierten Kärnten blieb kein Stein auf dem anderen: Die FPÖ konnte noch deutlicher als bundesweit zulegen und kam auf 38,65 Prozent (plus 18,87 Prozent), die Landeshauptmann-Partei SPÖ schaffte es mit 23,14 Prozent (minus 3,02) auf Platz zwei vor der ÖVP mit 20,83 Prozent (minus 14,07).
"Anti-FPÖ-Koalition" nur noch mit drei Parteien möglich
Rein rechnerisch ginge sich bei einer ÖVP-SPÖ-Koalition (zusammen 92 Mandate) eine Mehrheit nur sehr knapp aus (183 Abgeordnete sitzen insgesamt im Parlament). Eine Anti-FPÖ-Koalition („Austro-Ampel“) würde also eine der beiden Kleinparteien benötigen, was wiederum eine homogene Politik – siehe "Ampel"-Deutschland – kaum möglich macht und auch den Wählerwillen nicht wirklich abbildet. Wie Umfragen eindeutig belegen, will die Mehrheit der Österreicher eine blau-schwarze Koalitionsregierung, um das Land wieder in Schwung zu bringen. Die FPÖ könnte mit jeder der beiden ehemaligen Großparteien eine solide Mehrheit bilden.
Erste Reaktionen noch weitgehend ohne Substrat
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker schloss in einer ersten Reaktion zwar weiterhin jede Zusammenarbeit mit der Kickl-FPÖ aus, doch stellt sich die Frage, ob es angesichts eines dermaßen katastrophalen Wahlergebnisses nicht ein großes Köpferollen an der ÖVP-Spitze gibt und man Stocker nicht mehr beim Wort nehmen kann, weil er - ebenso wie Rekord-Wahlverlierer Karl Nehammer und FPÖ-Ausgrenzerin Karoline Edtstadler - anderen Vertretern ihrer Partei an der ÖVP-Spitze Platz machen müssen. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz legte sich demnach in einer ersten Stellungnahme im ORF überhaupt nicht fest und betonte, dass es nun Sache der jeweiligen Parteigremien sei, allfällige Personalien und Zusammenarbeiten zu beschließen. Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim stellte zunächst einen Abgang des glücklosen Parteichefs Andreas Babler kategorisch in Abrede. Der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch sah gar einen „klaren Wählerauftrag“ im Wahlergebnis, „weiter für den Klimaschutz“ tätig zu sein. Vielleicht in Opposition, aber wohl kaum in einer neuen Regierung. Dort sieht sich schon Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos, der sich etwas zu selbstbewusst fast schon sicher in eine neue Bundesregierung reklamierte, die ohne die Neos quasi kaum "Reformen" durchbringen könnte. Aber wie will eine kleine Beiwagerl-Partei wie die Neos ernsthaft Reformen druchbringen? Dazu müssten sie erst einmal jene Leichen im Keller von ÖVP und SPÖ finden, die in der scheidenden Regierung offensichtlich die Grünen bei der ÖVP gefunden hatten, um dieser all ihren links-ideologischen Wahnsinn aufzuhalsen.
"Volkskanzler" Kickl nicht mehr unwahrscheinlich
Die nächsten Wochen werden zeigen, welche dieser Aussagen realistisch waren und welche nicht. Die FPÖ dürfte aufgrund ihres Rekord-Ergebnisses wohl den Anspruch auf den Kanzler und den Ersten Nationalratspräsidenten stellen, was seit 1945 auch durchaus den langjährigen Gepflogenheiten im österreichischen Parlamentarismus entspricht - mit ganz wenigen Ausnahmen wie nach der Wahl im Oktober 1999, wo die stärkste Partei SPÖ keine Regierung zusammengebracht hatte und damit den Weg für die blau-schwarze Regierung (Wolfgang) "Schüssel I" frei machte.
Blau-schwarze Koalition wäre im Sinne des Wählerwillens
FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl berief sich dementsprechend in einer ersten Stellungnahme auch auf die Verfassung, gemäß jener der Wählerwille nach einer Wahl berücksichtigt werden muss. Demnach besagt dieser Wählerwille klar, dass die Mehrheit der Österreicher die FPÖ und Herbert Kickl als Kanzler in der Regierung sehen will. Einer weiteren Befragung im ORF durch "Großinquisitor" Armin Wolf in der ZIB2 blieben alle FPÖ-Politiker konsequent fern und überließen es Wolf und Vertretern der Verlierer-Parteien, sich in Luftschlössern zu vertiefen, wie eine Anti-FPÖ-Regierung aussehen könnte und wie man Herbert Kickl vom Kanzleramt fernhalten wolle. Die FPÖ feierte im Alten AKH ihren Erfolg und wird nach dem traditionellen "blauen Montag" ab Dienstag jene Gespräche führen, die für Österreichs Zukunft wirklich entscheidend sind.